Kinder – vor allem neurodivergente — sind extrem wissbegierig, und das war schon immer so. Aber die Art und Weise, wie sie ihren Wissensdurst stillen, hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt — mit vielfältigen positiven wie negativen Folgen.
Lesen vs. Google
Wenn ich als Kind der 1970er Jahre neugierig auf ein Thema war, führte mich der Weg zur Bibliothek. Stundenlang konnte ich dort vor den bunten Regalen verweilen und darin stöbern. Zu Hause vertiefte ich mich dann in die mitgebrachten Schätze. Alles, was ich nebenbei in der Bücherei an Input aufgeschnappt hatte, blieb auch dort, so dass mein Fokus natürlicherweise bei genau dem Buch lag, das ich in den Händen hielt. Somit nahm ich das Wissen daraus intensiv in mich auf.
Lesen war für mich als Kind eine der lustvollsten Beschäftigungen, und so las ich auch der kleinen Svenka mit größtem Vergnügen vor. Aber da hatte ich mich natürlich selbst schon längst daran gewöhnt, bei aufkommenden Fragen sofort zu googeln.
Und so nahm ich Svenka eines Tages auf den Schoß, um herauszufinden, welche Geräusche wohl eine Giraffe und ein Dachs von sich geben. Das interessierte die damals Zweijährige nämlich brennend. Natürlich fanden wir im Tierstimmenarchiv des Berliner Naturkundemuseums noch vieles andere und surften von dort aus munter weiter durch das WWW, bis wir schließlich bei den Viertaktmotoren angekommen waren.
Jetzt stell dir vor, ich hätte Svenka einfach ein Smartphone, das es damals noch nicht gab, in die Hand gedrückt. Hätte sie sich dem Reiz der schnellen Bilder entziehen können? Wohl kaum. Aber warum ist das Handy so attraktiv?
Geduld vs. Instant Kick
Während früher einige Zeit verging und wir als Kinder auch Mühe aufwenden mussten, um an bestimmtes Wissen zu kommen, wird der Wissensdurst heutzutage sofort gestillt. Und nicht nur das — der Input ist endlos.
Dadurch wird das Belohnungssystem des Gehirns permanent aktiviert und verlangt nach immer mehr Dopamin. Allerdings ist die Aufnahmekapazität sowohl des Arbeitsspeichers als auch der Festplatte in unserem Kopf nicht wesentlich größer als früher. Das führt dazu, dass die Wissensbissen, die wir aufnehmen können, immer kleiner werden, und dass unser Gehirn Schwierigkeiten hat, zu entscheiden, welche Inhalte so wichtig sind, dass sie im Langzeitgedächtnis gespeichert werden sollen.
Die Konkurrenz zwischen den Regeln des neuesten Videospiels, den Reels des Lieblings-Promis, den Matheformeln und Vokabeln ist einfach zu groß.
Exekutivfunktionen vs. TikTok
Heutige Kinder tun sich sehr schwer, bestimmte Exekutivfunktionen ihres Gehirns zu entwickeln, die für uns früher selbstverständlich waren und die auch heute noch immens wichtig sind. Vor allem die Aufmerksamkeitsspanne wird im Zeitalter der schnellen Bilder ohne entsprechendes Training immer kürzer.
Weitere Exekutivfunktionen, die häufig auf der Strecke bleiben, sind:
- Fokussieren auf einen Gedankenstrang bzw. eine Tätigkeit: bei der Sache bleiben und Ablenkungen ausblenden
- Anstrengungsbereitschaft: Mühe auf sich nehmen, um zum Ziel zu kommen
- Aufschub von Bedürfnissen: abwarten, bis man etwas bekommt oder an der Reihe ist
- Frustrationstoleranz: nicht gleich aufgeben, wenn etwas nicht klappt
- Zielgerichtete Beharrlichkeit: begonnene Aufgaben zu Ende führen
Totes Wissen vs. lebendiges Wissen
Früher, als wir noch auf Wissen aus Büchern angewiesen waren, lag es auf der Hand, dass vieles, was da geschrieben stand, schon veraltet oder überholt war. Uns war bewusst, dass Bücherwissen oftmals auch totes Wissen ist, und dass es darauf ankommt, wie es angewendet werden konnte. Das konnten wir von unserem Umfeld erfahren: von Eltern, Großeltern, Geschwistern, Verwandten, Lehrer*innen, Nachbar*innen usw.
Der persönliche Austausch unter Menschen hatte einen viel höheren Stellenwert als heute. Dadurch erwarben wir als Kinder nicht nur totes Wissen aus Büchern, sondern konnten uns auch die praktische Umsetzung und vor allem die Haltung von unseren Vorbildern abschauen.
Heute finden junge Menschen zwar mühelos tagesaktuelle Informationen über gefühlt jedes Thema, aber der Austausch über die Inhalte und der Transfer in den Alltag ist für sie viel schwieriger als er für uns früher war. Durch die immense Informationsflut, der wir alle ausgesetzt sind, finden Kinder und Erwachsene immer seltener gemeinsame Themen und Interessen. Stetig steigende Anforderungen und immer schnellere Veränderungen im Alltag sorgen zudem dafür, dass viele Familien sich kaum noch die Zeit für gemeinsame Unternehmungen, Projekte und entspanntes Lernen nehmen.
Solange aber Wissen nur konsumiert und nicht in der zwischenmenschlichen Interaktion aktiviert wird, bleibt es totes Wissen und wird schnell wieder vergessen, mag es noch so aktuell sein! Das führt letztlich dazu, dass Kinder sich am besten die Inhalte einprägen, über die sie sich mit den Menschen austauschen, mit denen sie am meisten zusammen sind. Im Schulalltag sind das meist Gleichaltrige.
Vorsicht, Fake!
Was in Büchern steht, muss nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen. Das gilt erst recht für das Internet, wo prinzipiell jeder die Möglichkeit hat, etwas zu veröffentlichen oder seine Meinung zu äußern. Außerdem gibt es schlichtweg keine objektive, absolute Wahrheit. Das liegt daran, dass jeder Mensch seine eigene Wahrnehmung von der Welt hat. Die Veränderung ist die einzige Konstante in unserer schnelllebigen Welt.
Hinzu kommt, dass Manipulation mit Hilfe von gezielt gefakten Inhalten durch die heutigen technischen Möglichkeiten so einfach ist wie nie zuvor. War schon früher ein gesundes Misstrauen und die Fähigkeit zu kritischem Denken angebracht, gilt das heute erst recht. Es ist eine Herausforderung für Eltern und Lehrkräfte, sowohl selbst damit umgehen zu lernen als auch diese Fähigkeit an die junge Generation weiterzugeben!
Müssen Handy, Internet und KI jetzt wieder weg?
Man könnte jetzt meinen, dass früher alles besser war und dass wir nur auf unsere liebgewonnenen Smartphones zu verzichten brauchen, damit alles wieder gut wird. Du weißt wahrscheinlich, dass das gar nicht möglich ist, denn diese Dinger sind längst zum wichtigsten Werkzeug unserer Kultur geworden, und auch du möchtest dein Handy bestimmt nicht missen!
Für mich ersetzt es viele Geräte und auch Bücher, die ich früher dauernd benutzt habe:
- Telefon
- Faxgerät
- Fotoapparat
- Videokamera
- Fotoalbum
- Radio, CD-Player und Fernseher
- Navi
- Notizbuch
- Briefkasten und Briefpapier
- Wörterbücher
- Lehrbücher
- Bücherregal
- Kaufhaus
- Reisebüro, Bahnauskunft usw.
Bestimmt könnte man noch viel mehr aufzählen. Das Handy ist geeignet, uns sehr viel Zeit, unnötige Wege, Gepäck und Platz in der Wohnung zu sparen.
Auch das Internet als solches und die vielen Tools, die mit KI arbeiten, sind eine große Erleichterung, wenn sie richtig angewendet werden. Vor allem werden sie nicht mehr aus unserem Alltag verschwinden.
Doch auf der anderen Seite bringt die dauernde Verfügbarkeit nicht nur von beliebigen Informationen, sondern auch von Ablenkungen aller Art immer die Gefahr einer Überforderung mit sich. Zudem sorgt der Druck, sich immer wieder mit den aktuellsten Technologien auseinanderzusetzen, für einen nie gekannten Stress, der dem möglichen Produktivitätszuwachs entgegen steht.
Wie findet man da die persönliche Balance? Was schon uns Erwachsenen schwer fällt — immer wieder für handy- bzw. bildschirmfreie Zeiten zu sorgen — gelingt Kindern nur mit der richtigen Begleitung. Vorleben, Erklären und attraktive Alternativen bewirken da übrigens viel mehr als Verbote und starre Regeln.
Entschleunigung tut Not!
Seid auch mal offline und sorgt für nachhaltige Lernerfahrungen, die alle Sinne mit einbeziehen!
- Nimm dir selbst mehr Zeit, deinen Interessen offline nachzugehen, und lebe es deinem Kind vor. Geht zusammen in den Wald, in den Garten, in den Hobbykeller, ins Museum oder in die Bibliothek und macht Wissen im wahrsten Sinne des Wortes begreifbar!
- Nehmt euch gemeinsam handyfreie und reizarme Zeit für Entspannung und Bewegung an der frischen Luft und gemeinsame kreative Hobbys.
- Biete Kindern die Möglichkeit, nicht nur Informationen zu konsumieren, sondern auch mit Hilfe des Gelernten Neues zu erschaffen.
- Interessiere dich dafür, was dein Kind am Handy bzw. im Internet konsumiert. Lernt gemeinsam, mit der Flut an Informationen und Online-Tools umzugehen und das Richtige auszuwählen.
Junge Menschen brauchen Mentor*innen
Kinder und Jugendliche haben heute unüberschaubare Möglichkeiten, sich Wissen selbstständig mit Hilfe digitaler Medien zu erschließen. Aber um es in der Praxis anwenden zu können, benötigen sie nach wie vor unsere Unterstützung.
Ein*e gute*r Mentor*in sollte folgendes leisten:
- Orientierung im Informationsdschungel:
Das Internet bietet unendlich viele Inhalte – aber nicht alle sind verlässlich oder sinnvoll. Junge Menschen brauchen Mentoren, die ihnen helfen, die Spreu vom Weizen zu trennen, Informationen kritisch zu hinterfragen und seriöse Quellen von manipulativen oder oberflächlichen Inhalten zu unterscheiden. - Individuelle Förderung statt Einheitsbrei:
Algorithmen und KI-gestützte Lernplattformen passen sich zwar immer besser an den Einzelnen an, aber sie können keine echte, menschliche Unterstützung ersetzen. Gute Mentor*innen erkennen Stärken, Schwächen und Interessen und können Kinder individuell fördern, statt einfach nur Standardwissen zu vermitteln. - Motivation und emotionale Unterstützung:
Lernen ist mehr als nur das Aufnehmen von Wissen – es ist ein emotionaler Prozess. Selbstzweifel, Ängste und Frustration können den Lernweg erschweren. Ein*e gute*r Mentor*in gibt nicht nur fachliche Anleitung, sondern stärkt auch das Selbstvertrauen, ermutigt nach Rückschlägen und hilft Kindern, motiviert zu bleiben. - Kritisches Denken und Reflexion fördern:
In einer Welt voller Fake-News, Werbemanipulation und polarisierender Meinungen ist es entscheidend, kritisch zu denken. Junge Menschen brauchen Vorbilder, die ihnen zeigen, wie man Fragen stellt, Argumente überprüft und sich eine eigene, fundierte Meinung bildet. - Soziale Kompetenzen und echte Verbindungen:
Während viele Lernprozesse heute digital stattfinden, bleibt der persönliche Austausch unersetzlich. Mentor*innen vermitteln nicht nur Wissen, sondern auch soziale Fähigkeiten wie Kommunikation, Empathie und Teamarbeit – Dinge, die man nicht allein aus Online-Kursen oder YouTube-Videos lernen kann. - Soziale Kompetenzen und echte Verbindungen:
Während viele Lernprozesse heute digital stattfinden, bleibt der persönliche Austausch unersetzlich. Mentoren vermitteln nicht nur Wissen, sondern auch soziale Fähigkeiten wie Kommunikation, Empathie und Teamarbeit – Dinge, die man nicht allein aus Online-Kursen oder YouTube-Videos lernen kann.
Wenn du dich manchmal fragst, wie du Kinder und Jugendliche beim Lernen in unserer hoch technisierten und schnelllebigen Welt gut unterstützen kannst, dann lass uns gern darüber austauschen. Schreibe uns auf deinem Lieblingskanal und/oder schließe dich unserer Community an!