Inklusion ist mehr als ein pädagogisches Konzept — sie ist eine Haltung, die das Schulleben für alle bereichert. Wenn alle Schüler*innen unabhängig von ihren individuellen Voraussetzungen und Lernbedürfnissen selbstverständlich in den Unterricht eingebunden werden, profitiert die gesamte Schulgemeinschaft. Denn Vielfalt bietet Lernchancen für alle.
Warum brauchen wir Inklusion in der Schule?
Oft wird Inklusion in der Schule nur mit offensichtlichen körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen in Verbindung gebracht. Doch sie betrifft ebenso neurodivergente Kinder und Jugendliche, die nicht immer auf den ersten Blick als solche erkennbar sind. Dazu gehören Schüler*innen mit Hochbegabung, Hochsensibilität, ADHS, Autismus und anderen Besonderheiten. Ihre Fähigkeiten und Bedürfnisse weichen oft stark vom neurotypischen Altersdurchschnitt ab, aber wenn sie berücksichtigt werden, entsteht ein Lernumfeld, in dem sich alle entfalten können.
Doch wie kann Inklusion im Schulalltag gelingen? Der Handlungsspielraum von Lehrkräften ist oft größer, als es auf den ersten Blick scheint. Sie können in ihrer täglichen Arbeit viel bewirken – durch eine ressourcenorientierte Sichtweise, individuelle Anpassungen im Unterricht und eine wertschätzende Zusammenarbeit mit den Schüler*innen, ihren Eltern sowie innerhalb des Kollegiums.
Welchen Handlungsspielraum haben Lehrkräfte?
Lehrkräfte sind nicht nur Wissensvermittler*innen, sondern auch Gestalter*innen eines lernförderlichen und wertschätzenden Umfelds. Sie sind verantwortlich für verlässliche Beziehungen und Lernangebote, die allen Schüler*innen gerecht werden. Wer Inklusion mitdenkt, erkennt, dass es nicht um „Extrawürste“ für Einzelne geht, sondern um eine Schulkultur, in der Unterschiede als Stärken wahrgenommen werden.
Durch gezielte Maßnahmen wie diese können Lehrkräfte Inklusion im Alltag unterstützen:
- Differenziertes Unterrichten:
Jeder Mensch lernt anders – durch verschiedene Aufgabenformate, offene Lernangebote oder Wahlmöglichkeiten innerhalb des Unterrichts können Schüler*innen sich den Unterrichtsstoff in ihrem individuellen Tempo und unter Ausnutzung ihrer bevorzugten Lernkanäle aneignen. - Bewegung, Pausen und Rückzugsmöglichkeiten:
Manche Kinder brauchen häufiger Bewegungspausen, um ihre Konzentration zu halten oder sich zu regulieren. Wo es möglich ist, sollten individuelle Pausen oder Ruhezonen im Klassenzimmer angeboten werden. Und was spricht dagegen, Kinder einmal im Stehen oder im Liegen arbeiten zu lassen, wenn sie das möchten und sich so besser fokussieren können? - Elternarbeit auf Augenhöhe:
Eltern neurodivergenter junger Menschen sind Expert*innen für ihre Kinder. Eine offene und wertschätzende Kommunikation hilft, Missverständnisse zu vermeiden und gemeinsam Lösungen zu finden, die für alle tragfähig sind. - Förderung der Eigenverantwortung:
Schüler*innen sollten von Anfang an in Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Selbstwirksamkeit ist eine entscheidende Grundlage für Motivation und langfristigen Schulerfolg. Kleine Schritte, wie das Setzen eigener Lernziele, das Einholen von Unterstützung bei Bedarf oder die selbstständige Anwendung von Hilfsmitteln und erlernten Tools, fördern diese Entwicklung. - Psychoedukation:
Wenn wir von Kindern und Jugendlichen erwarten, dass sie tolerant sind und Vielfalt als positiv bewerten, müssen wir diese Werte auch vorleben und vermitteln. Nur Kinder, die sich auch in der Schule mit menschlichen Bedürfnissen, Gefühlen und Beziehungen beschäftigen, sind auch in der Lage, die Perspektive anderer Menschen einzunehmen, empathisch zu sein, Konflikte friedlich zu lösen und verantwortungsvoll zu handeln.
Vorteile für alle Beteiligten
Inklusion ist keine Einbahnstraße — wenn Schule inklusiv gedacht wird, profitieren alle:
- Neurodivergente Schüler*innen fühlen sich gesehen, wertgeschätzt und unterstützt. Sie können auf der Grundlage regelmäßiger Erfolgserlebnisse ein gesundes Selbstbild entwickeln und ihr Potenzial ebenso entfalten wie ihre neurotypischen Mitschüler*innen.
- Neurotypische Schüler*innen entwickeln mehr Empathie, soziale Kompetenz und die Fähigkeit, mit Unterschiedlichkeit produktiv umzugehen — eine Schlüsselkompetenz für das spätere Leben.
- Eltern fühlen sich ernst genommen, wenn sie in Entscheidungen eingebunden werden, und wissen ihre Kinder in einem unterstützenden Umfeld.
- Lehrkräfte gewinnen durch die Zusammenarbeit mit Fachkräften, Eltern und Schüler*innen neue Perspektiven und entwickeln ihre pädagogischen Fähigkeiten weiter. Inklusion ist ein kreativer Prozess, der ihren Berufsalltag bereichert und zu mehr Freude am Lehrer-Sein verhilft.
Der entscheidende Faktor: Haltung und Offenheit
Gelingende Inklusion ist kein Zufall. Sie steht und fällt mit einem konsequent positiven, ressourcenorientierten Blick auf alle Schüler*innen. Wer ihre Stärken sieht, kann ihnen helfen, Herausforderungen zu bewältigen.
Wichtig ist auch die Bereitschaft der Lehrkräfte, sich selbst als Lernende zu begreifen. Inklusion erfordert manchmal, alte Routinen zu hinterfragen und neue Wege auszuprobieren. Dabei geht es nicht um Perfektion, sondern um einen offenen, experimentierfreudigen Umgang mit Vielfalt.
Wenn Lehrkräfte sich auf diesen Prozess einlassen, entstehen Klassengemeinschaften, in denen alle Kinder sich wohlfühlen und ihr Potenzial entfalten können. Und genau das ist es, was Schule ausmachen sollte: Sie muss ein Ort sein, an dem alle Kinder ihren Platz haben — so, wie sie sind.
In unserem Themenmonat “Inklusion” haben wir ein Interview mit dem Förderlehrer, Schulleitungsmitglied und Experten für Inklusionspädagogik Peter Ehrich von der Josephin-Baker-Gesamtschule aus Frankfurt geführt. Wenn du dir Anregungen aus der Praxis wünschst, dann schau es dir gern an!
Mehr über Peter Ehrich und seine Beratungsangebote findest du unter diesem Link: inklusiongestalten.de/. Schau unbedingt auch auf seinem Blog vorbei: peterehrich.journoportfolio.com/.