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Karin & Svenka Kahl
99830 TREFFURT (D)

Fehlerkultur

Fehlerkultur in der Praxis

Am vergangenen Dienstag habe ich in einem Facebook-Live mit der bekannten Lerntrainerin und Veranstalterin des LRS-Kongresses Sabine Omarow über das Thema Fehlerkultur gesprochen. Der Umgang mit Fehlern ist schließlich ihr täglich Brot, und sie bügelt hier vieles aus, was in der Schule nicht gelungen ist.

Auf Facebook und Instagram postet sie regelmäßig unterhaltsame Erklärungen zu den Fallstricken der Rechtschreibung und der Grundschulmathematik. Wir hatten ein wunderbares Gespräch und bekamen auch aus dem Publikum einige Fragen gestellt.

Prompt habe ich uns danach ein Lehrstück zum Thema Fehlerkultur geliefert! Gleich zu Beginn des Interviews riss nämlich meine Internetverbindung ab, und wir mussten neu beginnen.

Am Morgen danach wollte ich das Fragment von unserer Facebookseite löschen und das gelungene Video herunterladen, um es für YouTube aufzubereiten.

Shit happens!

Ich schaute genau hin und klickte auf Löschen. Es passierte nichts, und es kam auch kein Bestätigungsfenster. Ich aktualisierte die Seite, sah nach wie vor zwei Videos und wiederholte die Aktion. Diesmal fragte mich Facebook, ob ich das Video wirklich löschen will, und ich klickte auf JA. Anschließend waren beide Videos weg! So einen Bock hatte ich noch nie geschossen!

Wie gehe ich mit meinen eigenen Fehlern um?

Bei mir spielte sich das komplette Programm ab, das ich für solche Fälle verinnerlicht habe.

  1. Schreck, Zweifel und Schockstarre
  2. Selbstvorwürfe
  3. Angst und Scham (was werden die anderen sagen?)
  4. Annahme des Geschehenen
  5. Beichten und Trost suchen
  6. Wie kann ich den Schaden wiedergutmachen oder begrenzen?
  7. Wer kann mir dabei helfen?
  8. Was lerne ich aus dem Fehler für die Zukunft?

Wie sich wohl jeder vorstellen kann, rutschte mir vor Schreck das Herz in die Hose. Mehrmals prüfte ich, ob das Video tatsächlich verschwunden war, und suchte im Geist nach dem Fehler bei mir.

Irgendwann begriff ich, dass ich mein Versprechen, das Video auf YouTube zu laden, nicht einhalten konnte und Sabine und meine Follower enttäuschen musste. Wie würden sie wohl reagieren?

Nur keine Ausreden!

Warum nur hatte ich nicht zuerst die gelungene Aufnahme heruntergeladen? Warum hatte ich unser Zoom-Meeting nicht zur Sicherheit aufgezeichnet? Bisher hatte ich das meistens so gemacht. Mein innerer Kritiker ging hart mit mir ins Gericht. In beruflichen Dingen ist ein gewisser Perfektionismus ja gar nicht so verkehrt.

Die starken Schmerzen im rechten Arm, die ich zur Zeit habe, dürfen keine Ausrede für solche eklatanten Versäumnisse sein! Ich fühlte mich so mies, dass mein Magen wehtat.

Nach einer Weile dachte ich an den Rat von Dale Carnegie in seinem Buch „Sorge dich nicht – lebe!“: Heule nicht über verschüttete Milch!

Fehlerkultur at it’s best!

Also schrieb ich zuerst Sabine und meine Svenka an und erklärte ihnen, was mir widerfahren war. „Fehler passieren,“ schrieben beide zurück. Sabine trug es mit Fassung und machte mir keine Vorwürfe. Mein Verstand hatte damit gerechnet, dass sie das, was sie über ihren Umgang mit Fehlern anderer im Interview gesagt hatte, auch lebt. Trotzdem durchlief ich auch diesbezüglich die Phase der Angst.

Unser Gespräch über Fehlerkultur – kurze Zusammenfassung

Als nächstes kam mir die Idee zu dem Blogbeitrag, den du gerade liest. In den folgenden Abschnitten werde ich dir aus meiner Erinnerung einige Highlights aus unserem Facebook-Live wiedergeben.

Eine Lerntrainerin mit Herz

Sabine hat zwei inzwischen erwachsene hochbegabte Kinder mit Rechtschreibproblemen und hat sich deshalb intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und eine Ausbildung dazu absolviert. Mit 40 ergriff sie die Chance, ein eigenes Lernstudio in Berlin zu eröffnen. Seit einigen Jahren befindet sich ihre Praxis für Sinn Lerntraining in Paderborn.

Momentan bereitet sie schon die 6. Auflage ihren LRS-Kongresses vor, wo es auch um Dyskalkulie und andere Themen aus dem Lerncoaching geht. Als ehemalige Teilnehmerin kann ich ihn dir sehr empfehlen, egal ob du MaPa bist, selbst von einer Teilleistungsschwäche betroffen oder professionell mit Kindern arbeitest.

Fehler können wirklich Helfer sein!

Wenn ein Schüler niedergeschlagen mit einem Blatt voller Fehler zu Sabine kommt, dann erklärt sie ihm, dass sie genau diese Fehler braucht, um ihm seinen Weg zur Rechtschreibung zeigen zu können. In ihrer unaufgeregten Art versteht sie auch wunderbar zu trösten und zu ermutigen.

Die unselige Methode „Lesen durch Schreiben“ bzw. „Schreiben nach Gehör“ ist leider der Grund für viele erlernte Rechtschreibfehler unserer Kinder. Somit war es nicht überraschend, dass wir auch auf dieses Thema zu sprechen kamen. Dazu brachte Sabine einen Spruch aus ihrer umfangreichen Zitatensammlung:

Die Reparatur alter Fehler kostet oft mehr als die Anschaffung neuer.
(Wieslaw Brudzinski)

Eine Zuschauerin fragte nach Rat, was Eltern tun können, wenn ihre Kinder nicht mit ihnen üben wollen. Das kann daran liegen, dass der Stoff in der Schule anders erklärt wird als es die Eltern können. Es gibt auch Kinder, denen das Üben mit den Eltern per se unangenehm ist. In jedem Fall ist es dann besser, eine externe Fachperson ins Boot zu holen. Das gilt besonders, wenn eine LRS diagnostiziert wurde oder im Raum steht. Sabine wies darauf hin, dass die Finanzierung oft vom Amt übernommen wird und viel zu wenig Eltern diese Hilfen beantragen, weil sie nichts davon wissen.

Die nächste Frage betraf Unterschiede in der Förderung in Bezug auf die Ursache der LRS. Nach Sabines Erfahrung kommen fast alle Schüler erst dann zu ihr, wenn sie eine umfassende Diagnostik durchlaufen und Probleme z.B. mit dem Sehvermögen oder der visuellen Wahrnehmung behoben sind. Nachdem es nur eine Rechtschreibung gibt, ergeben sich daraus keine Unterschiede in der Förderung.

Auch bei vorliegender Hochbegabung verläuft das LRS-Training genauso wie bei anderen Betroffenen. Hochbegabte können lediglich schneller zum Ziel kommen, weil sie weniger Wiederholungen benötigen, bis eine Regel „sitzt“. Manchmal wählt Sabine auch spezielle Methoden aus ihrem Repertoire für einen hochbegabten Schüler aus oder lässt eine andere weg. Aber diese individuellen Anpassungen macht sie grundsätzlich für jeden ihrer Schüler. Sie arbeitet schließlich seit vielen Jahren mit Kindern, Jugendlichen UND Erwachsenen!

Eigene Fehler zugeben erhöht die Autorität!

Auf meine dementsprechende Frage erzählte Sabine von ihrem entspannten Umgang mit eigenen Fehlern gegenüber ihren Schülern. Natürlich unterlaufen ihr bei der Erstellung ihres Lehrmaterials (das sie auch für kleines Geld bei eduki zum Verkauf anbietet) gelegentlich mal kleine Fehler. Wenn ein Schüler sie entdeckt, beglückwünscht sie ihn und bedankt sich. So sollte es sein.

Leider haben unsere Zuschauerinnen und Svenka da auch schon andere Erfahrungen gemacht. Nicht selten beharren Lehrkräfte gegenüber Kindern auf ihrem Irrtum und bringen lieber einer ganzen Klasse offensichtlich falsche Fakten bei, als ein kleines Versehen zuzugeben. Das geschieht meistens aus Angst, die Autorität zu verlieren. Aber genau indem sich diese LehrerInnen als unfehlbar hinstellen, büßen sie ihr Gesicht gegenüber pfiffigen Kindern ein.

Svenka hat unter anderem erlebt, wie eine Lehrerin darauf beharrte, dass ein Quadrat niemals ein Parallelogramm ist und dass Gänseblümchen giftig sind. Svenkas Internetrecherche hatte ergeben, dass das Gänseblümchen damals sogar Heilpflanze des Jahres war, aber das ließ diese unreife Lehrperson nicht gelten.

Svenkas vorherige Lehrerin hatte sich dagegen sogar für einen pädagogischen Fehltritt bei Svenka entschuldigt und damit ein für allemal ihren Respekt, ihr Vertrauen und ihre Loyalität gewonnen.

Wie können wir Kinder in der Schule ermutigen?

Gegen Ende unseres Gespräches träumten wir noch gemeinsam von einer Schule, die eine positive Fehlerkultur pflegt und jedem Kind Lernerfolge und die Entfaltung seines Potenzials ermöglicht.

Unter anderem sprechen wir uns beide dafür aus, die Kinder einer Klasse nicht miteinander zu vergleichen, sondern jedes Kind an sich selbst zu messen. Das Bemühen und die individuellen erreichten Fortschritte sollten Maßstab für die Bewertung sein, falls diese denn überhaupt sein muss.

Sabine verabschiedete unsere Zuhörerinnen mit diesem Spruch:

Ein Genie macht keine Fehler. Seine Irrtümer sind Tore zu neuen Entdeckungen.
(James Joyce)

Dem kann ich nur zustimmen.

Und was lerne ich nun aus meinem Fehler?

Zurück zu meinem Missgeschick. Das darf nie wieder vorkommen! Deshalb habe ich jetzt eine Checkliste, in der steht, dass ich jedes Interview sicherheitshalber aufzeichne und es gleich nach Ende auf meinen Rechner lade. Wenn ich solche Listen einmal habe, weiche normalerweise auch nicht davon ab. Das lässt für die Zukunft hoffen.

Ich würde mich sehr freuen, dich bei meinen nächsten Facebook-Lives oder auf unserem YouTube-Kanal begrüßen zu können.

Und wenn dir auch einmal ein solch dämlicher Fehler passiert wie mir, sei nachsichtig mit dir selbst und heule nicht über verschüttete Milch! Falls du es nicht allein hinbekommst, such dir ‘nen Coach, zum Beispiel mich.