In diesem Artikel möchte ich mit dir meine eigenen Erfahrungen mit Unterforderung und Langeweile in der Schule teilen. Schon früh musste ich Strategien finden, damit umzugehen und meinem Schulbesuch einen Sinn zu geben.
Später erhielt ich zunehmend Unterstützung von Lehrkräften, die mein Potenzial und meine Bedürfnisse sahen und mir erlaubten, mich innerhalb der Schulgemeinschaft zu engagieren. So wurde nebenbei auch verhindert, dass ich auf Grund meiner Andersartigkeit gemobbt wurde.
Wie im Unterricht Langeweile entsteht
Meine Schulzeit war von 1974 bis 1986 in der DDR. Im Rückblick ist mir klar, warum meine Eltern nie zu Elternabenden gingen. Telefon und Internet gab es damals noch nicht. Die Beschwerden der Lehrer über mein dauerndes Schwatzen und meine Unlust im Unterricht kamen trotzdem an, denn der Mann meiner Klassenlehrerin war Arbeitskollege meines Vaters. Vieles erledigte man damals “auf dem kleinen Dienstweg”.
Wie alle Kinder kam ich erwartungsfroh in die Schule, freute mich darauf, Neues erleben, erfahren und entdecken zu dürfen, aber vom ersten Tag fühlte ich mich unverstanden. Wenn sich andere Kinder freuten, einen neuen Buchstaben kennenzulernen, konnte ich das gar nicht nachvollziehen. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon keine Erinnerung mehr daran, wie ich lesen gelernt hatte. Ja, ich war sogar sehr verwundert, dass man das überhaupt lernen musste. Was war nur falsch an mir?
Zunächst meldete ich mich eifrig und wollte mein Wissen teilen, doch dauernd musste ich warten und wurde vertröstet, bis ich immer stiller wurde und auch nichts mehr fragte.
Wichtige Strategien zum Umgang mit Langeweile im Unterricht
Schon nach wenigen Wochen in der 1. Klasse wurde ich Meisterin im Wegträumen. Während der Monologe der Lehrerin oder in der Stillarbeit dachte ich mir Geschichten aus. Trotzdem bekam ich mit, wann ich meine Antennen wieder auf den Unterricht richten musste. Das ist eine wertvolle Fähigkeit, und man kann es lernen. So konnte ich immer das Geforderte abliefern und bekam nicht zu viel negative Aufmerksamkeit.
In der Grundschule war das für mich die einzige Chance, vor Langeweile nicht verrückt zu werden, denn dort werden Kinder sehr engmaschig beobachtet und reglementiert.
Heutzutage gibt es mehr Freiarbeit und Montessori-Methoden als früher und weniger Frontalunterricht. Die vielen Wiederholungen sind aber nach wie vor eine Tortur für clevere Kinder. Und ein Aus-der-Reihe-Tanzen wird längst nicht mehr so entspannt gesehen wie früher. Irgendwann machen die Kinder dicht und “verweigern” viel zu einfache und öde Aufgaben. Und es dauert oft nicht lange, bis sie dafür pathologisiert werden.
Doch zurück ins Jahr 1978. Ab Klasse 5 konnte ich im Unterricht unter der Bank lesen oder meine Geschichten und fixen Ideen in ein Heft schreiben. Meine Hausaufgaben machte ich immer gleich nebenbei im Unterricht oder kurz vor der Stunde in der Pause. Auch meine Häkelsachen hatte ich oft dabei. In manchen Fächern besaß ich nicht mal ein Heft, weil ich Schreiben hasste und ein notorischer Schmierfink war. Meistens wurde das alles toleriert, denn ich störte selten den Unterricht, konnte auf Fragen antworten und bei Klassenarbeiten meine Leistung abliefern.
Kreative und verständnisvolle Lehrkräfte sind Gold wert!
Spätestens in der Pubertät beschäftigten sich auch meine Mitschüler gern anderweitig im Unterricht, Briefchen schreiben und kleine Streiche waren in unserer Klasse mehr die Regel als die Ausnahme, und ich nahm die gute Stimmung dankbar an. Nebenbei halfen wir uns gegenseitig bei den Aufgaben. Die Lehrer gingen damit recht entspannt um, solange der Unterricht ansonsten lief.
Etwa ab Klasse 6 durfte ich bei manchen Fachlehrern komplette Unterrichtsstunden allein gestalten, was mir große Freude gemacht hat und bei meinen Klassenkameraden sehr gut ankam. Ich durfte im Unterricht anderen Schülern gezielt helfen und wurde ab Klasse 8 sogar als Vertretungslehrerin und Leiterin mehrerer AGs eingesetzt. Die Vorbereitungen dafür durfte ich in der Unterrichtszeit machen.
Öfter wurde ich auch an Schultagen zu Wettbewerben geschickt oder erledigte Wege für meine Lehrer. Sie liehen mir auch regelmäßig ihre besten Bücher aus und teilten Material von Fortbildungen mit mir.
Bei Veranstaltungen durfte ich mit organisieren, moderieren und beim Karneval in die Bütt steigen.
Ich schloss sowohl die 10. Klasse als auch das Abitur mit der Note 1,4 ab. Später nannte mich meine Ausbilderin ein “Genie mit Mut zur Lücke”. Das hätte schon für meine Schulzeit gepasst.
Nicht das Wissen über Hochbegabung ist entscheidend, sondern die Haltung gegenüber jungen Menschen!
Damals im Schulsystem der DDR hatte noch nie jemand das Wort “Hochbegabung” gehört, aber besonders die sogenannten Neulehrer, Arbeiter, die nach 1945 im Osten Deutschlands im Schnellverfahren zu Lehrern gemacht wurden und sich ein Leben lang fortbildeten, wussten durch ihre Lebenserfahrung, was ich brauchte. Und davon profitierte unsere ganze Klasse. Ich war zwar Außenseiterin, wurde bewundert und belächelt zugleich, aber ich wurde akzeptiert und niemals gemobbt und fühlte mich zumindest in den oberen Klassen sehr wohl in der Schule und hatte das Gefühl, dazuzugehören.
Heute scheint es weniger Toleranz für von der Norm abweichende Lernbedürfnisse und alternative Beschäftigungen zu geben. Als Mutter von Svenka bekam ich jedenfalls immer wieder Beschwerden, wenn sie sich in ihrer Not eigene Aufgaben stellte. Einträge à la “Svenka folgt nicht den Anweisungen.” oder “Svenka spitzt im Unterricht Bleistifte.” brachten mich regelmäßig zum Grinsen.
Langeweile im Unterricht bei hochbegabten Kindern vermeiden
Zum Glück gab es auch positive Beispiele. Durch die Altersmischung in der Schuleingangsphase und das Engagement der Klassenlehrerin blieb Svenka in den ersten beiden Schuljahren viel unnötige Langeweile erspart. Sie durfte schon Geschichten schreiben, Vorträge halten, und ihre Arbeiten von zu Hause wurden in der Klasse ausgestellt. So erfuhr Svenka die Wertschätzung, die jedes Kind braucht, und auf dieser Basis wuchs auch ihre Frustrationstoleranz bei Routineaufgaben und Wartezeiten. An Anpassung ist ja nichts falsch, solange sie nicht STÄNDIG verlangt wird und die Motivation komplett schwindet.
Die Deutschlehrerin in Klasse 4 konnte Svenkas Quatschgeschichten, die sie aus den “Lernwörtern” schrieb, wertschätzen, und sie halfen schließlich auch den Mitschülern. Worüber man gelacht hat, das behält man bekanntlich am besten im Gedächtnis.
Der Englischlehrer in der 5. Klasse duldete es, dass sie lieber Harry Potter auf Englisch las und mit ihm über seine Katze parlierte, als Anfänger-“Vokabeln” von der Tafel abzuschreiben. Warum auch nicht?
Ich wünsche mir, dass immer mehr Lehrkräfte erkennen, dass ALLE Schüler Aufgaben brauchen, die knapp über ihrem Fähigkeitsniveau liegen, um lernen und sich gesund entwickeln zu können.
Auch Erwachsene leiden unter Langeweile und Unterforderung!
Fangen wir doch einmal bei uns selbst an: Auch wir Erwachsenen müssen MANCHMAL eine langweilige Veranstaltung über uns ergehen lassen. Wie verhalten wir uns da? Wie schnell zücken wir dann das Handy, oder wir gehen nach draußen “eine rauchen” oder einen Kaffee holen, falls das erlaubt ist! Aber von manchen Kindern verlangen wir, JEDEN TAG mehrere Einheiten von 45 Minuten bei massiver Unterforderung, Langeweile und Desinteresse durchzustehen und genau das zu machen, was wir verlangen. Wir finden das höchst unfair!
Was tun bei Unterforderung und Langeweile im Unterricht?
Da, wo Differenzierung schwer fällt bzw. Lehrer mit administrativen Aufgaben überlastet sind und den Arbeitsaufwand für individuelle Aufgaben einfach nicht stemmen können, hilft es, den betreffenden Schülern mehr Eigeninitiative zuzutrauen und zu erlauben. Mein eigenes Beispiel und das von Svenka sollten das lediglich illustrieren und ein paar Ideen in den Raum stellen, die man auch heute noch umsetzen kann.
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